Zehn Jahre mussten Fans auf ein neues Dragon Age-Teil warten. Was sie letztes Jahr bekamen, war technisch solide, inhaltlich ambitioniert und kommerziell ein Reinfall. Ein Bericht von Bloomberg-Reporter Jason Schreier zeigt nun, wie es dazu kommen konnte.
Die Presse war milde gestimmt: Dragon Age: The Veilguard heimste durchaus wohlwollende Kritiken ein, als es am 31. Oktober 2024 erschien. Doch der Applaus der Kritiker konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Fans – vor allem alteingesessene – enttäuscht waren. Das Ergebnis: Bis Ende 2024 zählte EA nur 1,5 Millionen Spieler. Damit wurde das hauseigene Verkaufsziel um satte 50 Prozent verfehlt.
Während Synchronsprecherin Alix Wilton Regan die Schuld auf „schlechte Menschen im Internet“ schiebt, liefert Schreier nun konkretere Gründe: Ein Projekt, das sich mehrfach selbst neu erfinden musste – mit chaotischen Konsequenzen.
Ursprünglich war „The Veilguard“ als klassisches Einzelspieler-RPG geplant – doch EA hatte andere Vorstellungen. Der Publisher zwang BioWare zu einem Live-Service-Spiel, was nicht nur das Design, sondern auch die Führungsebene durcheinanderwirbelte: Creative Director Mike Laidlaw verließ das Studio, Matt Goldman übernahm.
Es folgten Jahre der Multiplayer-Entwicklung – bis der Schwenk zurück zum Singleplayer erfolgte. Doch statt von vorn zu beginnen, wurde einfach am bestehenden Code weitergeschraubt. Laut einem Entwickler musste dabei die komplette Story umgeschrieben werden, während die alten Systeme einfach bestehen blieben. Ein Rezept für Inkonsistenzen, unfertige Mechaniken und kreative Kompromisse.
Die Krönung: BioWare hatte für das neue Konzept nur rund 18 Monate Zeit, während intern noch immer davon ausgegangen wurde, man sei kurz vor dem Launch. Änderungen in letzter Minute? Kaum möglich.
Im Jahr 2023 griff EA zum letzten Mittel: Verstärkung durch das Mass-Effect-Team, das eigentlich am nächsten Teil seiner eigenen Reihe arbeitete. Doch anstatt für frischen Wind zu sorgen, führte der Wechsel zu internen Reibereien.
Anstatt produktiver Zusammenarbeit gab es abfällige Kommentare über die „schlampige Arbeit“ des bisherigen Teams, wichtige Dragon-Age-Entwickler wurden von Meetings ausgeschlossen – und das Mass-Effect-Team änderte große Teile des Spiels, inklusive Finale und Zwischensequenzen. Ironie am Rande: Dem ursprünglichen Team wurde zuvor gesagt, für genau solche Änderungen fehle das Budget.
Ein weiterer Streitpunkt: Der typische, leicht schnippische Tonfall der Dialoge – für Fans ein Markenzeichen, für das Mass-Effect-Team ein Anachronismus. Die Sorge war, das Spiel könnte wie „Forspoken“ enden, das für überdrehte Dialoge massiv kritisiert wurde.
Geplant war eine Generalüberholung der Texte – doch der Zeitpunkt war spät, die Moral im Keller und die Synchronsprecher im Streik. Das Ergebnis: Dialoge, die tonal schwanken wie ein betrunkenes Qunari-Schiff im Sturm.
Dragon Age: The Veilguard legte großen Wert auf die Einbeziehung trans- und nichtbinärer Charaktere sowie die Darstellung von LGBTQIA+-Identitäten und -Beziehungen. Das Spiel bietet Spieler*innen insbesondere die Möglichkeit, transsexuelle Charaktere zu erstellen, einschließlich Narben von Brustoperationen. Darüber hinaus hat Taash, ein Hauptbegleiter, eine ganze Geschichte, die sich nur auf seine Geschlechtsidentität konzentriert. Viele Fans bezeichneten das Spiel aufgrund des Fokus auf diese Themen und des begrenzten Raums für alternative Perspektiven in den Dialogen der Charaktere als zu „woke“.
Trotz aller Turbulenzen erschien „Dragon Age: The Veilguard“ tatsächlich – was laut Schreier fast einem Wunder gleicht. Verbesserungen des Mass-Effect-Teams konnten manche Schwächen glätten, doch der kreative Flickenteppich war unübersehbar.
Und BioWare selbst? Laut Schreier steht das Studio auf wackligen Beinen. Einst das Aushängeschild für narrative Rollenspiele, ist es für EA wirtschaftlich inzwischen kaum relevant. Der Fokus liegt längst auf FIFA, Madden und Shootern – schnelle Gewinne, kalkulierbares Risiko.
Nach Stellenabbau und Umstrukturierung im Frühjahr 2025 zählt BioWare weniger als 100 Mitarbeiter. Das kleine Team arbeitet derzeit an „Mass Effect 5“. Doch Analyst Doug Creutz bringt es auf den Punkt:
„Wenn sie morgen die Türen schließen würden, wäre ich nicht völlig überrascht. Es ist über ein Jahrzehnt her, dass sie einen Hit produziert haben.“
„Dragon Age: The Veilguard“ ist kein schlechtes Spiel – aber es ist kein Spiel, das seiner Legende gerecht wird. Die Entwicklung war ein Paradebeispiel für alles, was in der modernen Spieleindustrie schieflaufen kann: kreative Kurswechsel, Managementversagen, interne Konflikte – und am Ende ein Produkt, das niemand so ganz verantworten will.
Ob BioWare noch einmal die Kurve kriegt? Vielleicht mit „Mass Effect 5“. Vielleicht auch nicht. Aber nach „The Veilguard“ bleibt die bittere Erkenntnis: Selbst legendäre Studios sind vor dem Absturz nicht gefeit. Und Legenden allein verkaufen keine Spiele mehr.
Kommentare: 0