Mit Death Stranding 2: On the Beach erwartet euch nicht nur die Rückkehr des berühmtesten Paketboten der Welt, sondern eine deutlich ambitioniertere Reise durch ein zerrüttetes Amerika. Mit Baby, Blutbumerangs und einem sprechenden Puppenkumpel im Gepäck.
Wenn Hideo Kojima ruft, folgt Sam Porter Bridges – auch wenn er eigentlich gerade Vaterpflichten erfüllt. Als 2019 Death Stranding, ein Spiel über Paketboten, Weltuntergangsphysik und emotionale Bindungen erschien, war das einer dieser Momente, in denen die Gaming-Welt kollektiv „Was zum…?“ sagte – und dann „Bitte mehr davon!“. Nun steht mit Death Stranding 2: On the Beach der Nachfolger in den Startlöchern, und wir sagen euch ob sich die Reise lohnt.
Elf Monate sind vergangen seit den Ereignissen des ersten Spiels. Sam hat sich zurückgezogen – in eine Hütte in den Bergen, fernab vom Wahnsinn des Chiral-Netzwerks, zusammen mit seiner Tochter Lou. Die sterile Einsamkeit der ersten Reise ist passé. Stattdessen: Familienfotos, Kinderzeichnungen und ein Hauch von Normalität.
Doch dann tritt Fragile auf den Plan. Sie leidet an einer Form von interdimensionalem Jetlag – und rekrutiert Sam für eine neue Mission: Die Chiral Network-Infrastruktur südlich der ehemaligen UCA (United Cities of America) ist zusammengebrochen. Es braucht wieder einen Boten.
Die Prämisse ist vertraut, aber mit frischem Anstrich: Statt der tristen Weiten Amerikas führt uns die erste Etappe durch Mexiko – mit raueren Umwelteinflüssen, zerstörten Kommunikationsnetzen und neuen politischen Kräften.
Nachdem sich das frühere Liefernetzwerk BRIDGES aus dem Geschäft zurückgezogen hat, regieren nun autonome Roboterdienste namens APAS den Markt. Doch als Fragile an Sams Tür klopft, lässt sich der alte Lieferprofi natürlich nicht lange bitten: Die Chiral-Verbindung muss auch hier wiederhergestellt werden. Also schnallt Sam seine Pakete und Tochter Lou an den Rücken und stapft erneut ins Ungewisse.
Die ersten 7–8 Stunden spielen in Mexiko und führen Sam langsam an seine neue Mission heran. Anders als im Vorgänger, der Spieler*innen mit komplexer Lore und unzähligen Begriffen bombardierte, zeigt sich Teil zwei einsteigerfreundlicher: Eine in Romanform erzählte Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse sowie das neue Korpus-Glossar sorgen für Durchblick – selbst während Cutscenes.
Grafisch legt Death Stranding 2 eine Schippe drauf: Verwitterte Steinformationen, flirrende Hitzeschleier und photorealistische Gesichtsausdrücke lassen die neue Welt ebenso beeindruckend wie melancholisch wirken.
Nach einem dramatischen Story-Wendepunkt zieht Sam weiter nach Australien. Mit der mobilen Basis DHV Magellan – benannt nach dem Entdecker Ferdinand Magellan – beginnt eine neue Phase der Reise. Dabei wirft Kojima wieder den philosophischen Vorschlaghammer: Der Aufstieg des Megakonzerns APAC erinnert unheimlich an aktuelle Entwicklungen rund um staatliche Effizienzbehörden – oder zumindest deren PR-Versprechen. Kojimas Gespür für gesellschaftliche Trends bleibt scharf wie eh und je. Der pazifische Kontinent dient als Hauptspielwiese, mit neuen Biomen, Stürmen, gefährlichen Flüssen und ganz neuen Gegnern. Und auch ein gewisser roter Cyborg-Samurai soll hier sein Unwesen treiben...
Mit Luca Marinelli (u. a. „The Old Guard“) ist ein neuer Antagonist an Bord, der mit Präsenz und Fragezeichen glänzt. Wer ist er? Warum steht er Sam im Weg? Und warum redet er in Rätseln? Kojima weiß, wie man Spannung aufbaut – auch wenn die bisherigen Trailer vielleicht schon etwas zu viel verraten haben. Einige Story-Elemente aus dem Spielverlauf kennt man bereits, was der Wirkung mancher Szenen etwas die Wucht nimmt. Mehr zur Story wollen wir, aus Spoilergründen, hier nicht verraten.
Zentraler Dreh- und Angelpunkt des Spiels ist das riesige mobile Hauptquartier namens DHV Magellan – ein halbes Metal Gear Rex auf dem Wasser. Hier tummelt sich eine bunte Crew aus skurrilen Figuren:
Tarman: Der Kapitän, dem eine Hand fehlt und der von George Miller (ja, dem George Miller) inspiriert ist. Er leidet unter „Phantomschmerzen“ – inklusive tar-schwarzer Katze.
Charlie: Ein sprechender Schaufenstertorso, der das Projekt „Drawbridge“ finanziert.
Tomorrow (Elle Fanning): Eine mysteriöse Frau in einem goldenen Kokon, die langsam Vertrauen zur Crew fasst – und über besondere Kräfte verfügt.
Dollman: Ein Mensch, dessen Seele (Ka) in der Hülle (Ha) einer Puppe gefangen ist. Er hängt an Sams Hüfte, philosophiert über Musik, warnt vor Flüssen – und wird beim Durchqueren derselben mitunter... wortwörtlich mundtot gemacht. Seine Weisheiten, Kommentare und Duschbesuche mit Rainy sind ein Highlight des Spiels. Cool ist auch, dass er in Stop-Motion animiert ist, während sich die Welt und Menschen um ihn herum vollkommen normal bewegen.
Rainy: Eine schwangere Frau, die Zeitregen verursacht – außer in einem Umkreis von 1,5 Metern um sich herum, wo stattdessen das Gegenteil wirkt und Dinge verjüngt. Sie duscht gelegentlich mit Dollman. Kojima-Logik.
Diese Crew ersetzt das fragmentierte Figurensystem des ersten Teils – endlich interagieren auch die NPCs regelmäßig miteinander, statt einzeln im Labor oder Bunker zu hausen.
Die Charaktere wachsen einem schnell ans Herz, die Geschichte entfaltet sich langsamer und verständlicher als im ersten Teil, ohne dabei an Tiefe zu verlieren.
Die Kernmechanik bleibt: Klettern, balancieren, liefern. Aber Death Stranding 2 hat sein Traversal-System spürbar entschlackt. Sam stürzt seltener, das nervige Balancieren wurde reduziert, und neue Fahrzeuge wie der Tri-Cruiser sorgen für mehr Tempo.
Monorails: Routen lassen sich dauerhaft ausbauen – ideal für Schnellreisen zwischen entlegenen Gebieten.
APAS: Ein Skill-System mit drei Hauptwegen (Transport, Bewegung, Kampf), das sich jederzeit umskillen lässt.
Umweltgefahren: Erdbeben, Sandstürme, brennende Wälder und flutende Flüsse zwingen zur Routenplanung.
Porter Grade ersetzt das kryptische Bewertungssystem.
Mehr Waffenauswahl – und diesmal größtenteils nicht-tödlich!
Neu ist auch ein Ingame-Lexikon, das Begriffe und Zusammenhänge aufschlüsselt – ein Geschenk für alle, die beim Wort „Chiralium“ früher abgeschaltet haben.
Selbst die berüchtigten GDs sind nun gezielter bekämpfbar – etwa mit dem Blood Boomerang, der Blut aus Sam zieht und mit einem Kopftreffer einen GD direkt eliminiert. Bosskämpfe? Deutlich cineastischer und fordernder.
Kojima hat das Kampfsystem endlich aufgebohrt. Wo früher das Wort „Kampf“ fast ein Schimpfwort war, lädt Death Stranding 2 zu regelrechten Mini-MGS-V-Scharmützeln ein:
Nichttödliche Waffen: Standard sind Gummigeschosse und Betäubungsgranaten.
Nahkampf mit Wrestling-Moves: Sam kann mit Anlauf einen V-Trigger landen – Kenny Omega wäre stolz.
Im Gegensatz zum ersten Spiel wird schleichen nicht mehr bestraft. Wer also Lust auf solide Stealth-Action à la MGS hat, darf sich austoben: Feinde markieren, mit Hologrammen ablenken, betäuben – oder einfach alles mitnehmen und abhauen.
Im Gegensatz zum ersten Teil spielt der Kampf eine deutlich zentralere Rolle. Banditenlager, bewaffnete Überlebende und neue GD-Mutationen sorgen für mehr Action. Wer seinen Rucksack abwirft, wird zudem wendiger – mit dem Risiko, seine Lieferung zu verlieren. Das ist Paketdienst mit Puls.
Der neue Skilltree (APAS-Enhancement) erlaubt es Sam, sich gezielt weiterzuentwickeln: Wollt ihr ein besserer Kämpfer sein? Ein ausdauernder Läufer? Oder doch ein Taktiker mit Wetterradar? Skillpunkte erlauben Spezialisierung – und lassen sich sogar rückgängig machen. Auch das neue „Porter Grade“-System macht Fortschritte direkt sichtbar. Endlich Levelaufstieg mit Substanz.
Auch neu sind die Umweltgefahren wie Erdbeben, Sandstürme, Waldbrände, und tageszeitabhängige Effekte. All das sorgt dafür, dass selbst die ruhigeren Transportphasen abwechslungsreich bleiben.
Was Death Stranding 2 so besonders macht, ist nicht nur seine Technik (die übrigens auf der Decima Engine erneut fantastisch aussieht), sondern sein Ton: Zwischen allen Chiralpartikeln, Bosskämpfen und Dystopie blitzt immer wieder echte Wärme auf.
Ob es die Interaktionen mit Lou sind, die sanften Dialoge mit Tomorrow oder das kindliche Gekicher von Dollman – das Spiel ist nicht nur bizarr, sondern auch bewegend. Wie Metal Gear Solid in seinen besten Momenten, balanciert es zwischen Eskapismus, Kritik und Emotionalität.
Wie schon im Vorgänger trifft Death Stranding 2 einen eigenartigen, faszinierenden Ton zwischen philosophischer Sci-Fi, emotionaler Tiefe und bizarrer Komik. Der Übergang von Familienszene zu Weltuntergang, von GD-Horror zu Duschszenen mit einer Puppe – es wirkt absurd, aber irgendwie auch stimmig. Und genau deshalb ist Kojimas Werk wieder etwas Besonderes.
Nach dem Durchspielen wurde uns klar: Death Stranding 2: On the Beach ist keine einfache Fortsetzung, sondern eine Expansion auf allen Ebenen. Mehr Emotion. Mehr Freiheit. Mehr Kojima.
Das Sequel scheint all das zu erweitern, was den ersten Teil so einzigartig gemacht hat – sei es die Verbindung der Spieler über Bauwerke, die emotionale Reise von Sam oder das bizarre, aber faszinierende Spiel mit Realität und Fiktion. Mit verbessertem Gameplay, intelligenteren Systemen und einer klareren Einführung für Neulinge steht hier ein würdiger Nachfolger.
Die Mischung aus meditativer Paketboten-Arbeit, spannender Handlung, kreativem Worldbuilding und taktischem Kampf ist so eigenständig wie genial. Die Magellan-Crew könnte Kultstatus erlangen, das neue Skillsystem macht selbst Wiederholungen spaßig, und die audiovisuelle Inszenierung bleibt herausragend.
Death Stranding 2 scheint alles zu sein, was der erste Teil war – nur zugänglicher, umfangreicher, verrückter und vor allem: spielerisch besser. Ob es wieder die Gemüter spalten wird? Sicherlich. Aber genau das ist der Reiz. Kojima will keine Mitte – er will Extreme. Und mit Lou, der Magellan-Crew und einem sprechenden Puppenfreund an seiner Seite, steht Sam und euch diesmal eine der faszinierendsten Reisen der Videospielgeschichte bevor.
Death Stranding 2: On the Beach erscheint am Donnerstag (26. Juni 2025) exklusiv für PS5.
Kommentare: 0